Nov
18

 

Ruby sitzt an ihrer Nähmaschine. Das gelbe Massband um ihren Hals, näht sie gerade an einem bunten Stoff, als Schwester Angella sie in ihrer kleinen Nähwerkstatt besucht. «Es wird ein Kleid für eine Kundin», sagt sie mit einem schüchternen, aber stolzen Lächeln.

Ruby ist 16 Jahre alt. Vor einigen Jahren kam sie mit ihrem älteren Bruder nach Kampala in Uganda. Im Slum Nsambya fanden sie Unterschlupf. Sie waren ohne Geld, ohne Perspektive, ohne Geborgenheit. Die Eltern der beiden waren verstorben. Damit wurde ihr junges Leben hart, einsam und ein täglicher Kampf ums Überleben. In Nsambya hofften sie, Arbeit zu finden und ein besseres Leben zu haben. Die Erfahrungen im Slum führten jedoch dazu, dass Ruby das Vertrauen ins Menschsein völlig verlor.

Der Tag, an dem ihr Bruder von der Arbeit der Franziskanerinnen für junge Frauen erfuhr, war für sie der Tag, an dem ihr Leben neue Formen annahm. Das war vor zwei Jahren. Ruby begann bei den Franziskanerinnen gemeinsam mit weiteren 25 jungen Frauen eine Ausbildung zur Schneiderin. Plötzlich war sie eingebunden in einem sozialen Gefüge konstruktiver und zielstrebiger Menschen, die ihr Herz öffneten und ganz neu den Glauben und das Vertrauen in die Menschen wachsen liessen. Im Unterricht lernte Ruby, wie sie ein kleines Unternehmen führen kann, wie sie mit den Finanzen umgeht und wie sie im Zusammensein mit Menschen Vertrauen in sich selbst und in ihre Mitmenschen gewinnt. In diesen zwei Jahren hat sie eine grosse Entwicklung durchlebt. Anfang des Jahres hat sie sich mit Hilfe der Franziskanerinnen eine Nähmaschine gekauft. Sie zog in ihr Dorf zurück und eröffnete dort eine kleine Schneiderei. Der nächste Schritt ist, dass sie im Dorf jungen Frauen und Mädchen weitergibt, was sie gelernt hat.

«Es ist ein wunderbarer Erfolg für Ruby, für uns Franziskanerinnen und für Sie, liebe Helferinnen und Helfer aus der Schweiz. Wie Ruby sind es 25 Frauen, die mit grosser Dankbarkeit im Herzen jeden Tag ihr neues Leben meistern und weitergeben, was sie erfahren haben. Der Erfolg spricht sich herum, und so sind es jetzt gerade insgesamt 50 junge Frauen, die eine berufliche Bildung erhalten und in ein neues Leben gehen können.» Das schreibt uns Schwester Angella aus Kampala.

Rubys Geschichte bewegt mich. Obwohl sie auf einem anderen Kontinent lebt und wir sie nicht kennen, sind wir ein Teil ihrer Geschichte. Trotz dieser weiten Entfernung entsteht ein Gefühl der Verbundenheit zu ihr, zu Schwester Angella und zu Ihnen als so wichtige Helferinnen und Helfer. Das ist wunderbar.

Ruby hat in ihrer kleinen Welt gemeinsam mit der Hilfe eines solidarischen Netzwerkes Grossartiges geschaffen. Sie hat Vertrauen gewonnen in das Menschsein und geht jetzt den Weg eines selbstbestimmten Lebens. Sie wird in ihrem Dorf und in ihrer kleinen Werkstatt Herausforderungen begegnen, die sie allein oder in Gemeinschaft meistern wird. Auch das gehört zum Menschsein.

Liebe Freundinnen und Freunde unseres Hilfswerks, mit jedem einzelnen Menschen, ob gross oder klein, der durch unser gemeinsames Wirken neue Wege gehen kann, vergrössert und intensiviert sich das Netzwerk geschwisterlicher Verbundenheit. Ganz im Sinne des Heiligen Franz von Assisi, der in seiner Ehrfurcht vor allen Geschöpfen den einzigartigen Wert aller Lebewesen erkannt hat.

So bitte ich Sie, uns weiter stärkend zur Seite zu stehen, damit wir gemeinsam Geschwisterlichkeit und Verbundenheit unter den Menschen wachsen lassen können.

Möge Gottes Segen Sie und Ihre Lieben auch in der bald beginnenden Adventszeit begleiten.

PAX ET BONUM

In dankbarer Verbundenheit

Bruder Mathias Müller OFM